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2. August 2020

Tiny Houses zwischen Ökologie und Nachhaltigkeit

EnEV2016*) als Messlatte für ökologische Minihäuser.

Tiny Houses erfreuen sich international wachsender Beliebtheit. Neben Zielen, Wünschen und Träumen wie Minimalismus oder geringerem Fußabdruck, den wir Menschen auf diesem Erdenrund hinterlassen wollen, spielen häufig auch ökologische und nachhaltige Gründe eine entscheidende Rolle.

Schlagworte wie die „Verwendung von natürlichen Materialien“ gehören dabei zur regelmäßigen Argumentation. Dabei ist allerdings abzuwägen, ob solche Materialien nur aufgrund ihrer natürlichen Herkunft verwendet werden oder ob sie auch tatsächlich langfristig nachhaltig sind.
Ein ökologisches Material muss nicht zwingend nachhaltig sein sondern kann auf Dauer auch zu höheren Umweltbelastungen oder sogar -schäden führen. Diese auf den ersten Blick unlogische Aussage lässt sich insbesondere am Beispiel von Tiny Houses recht gut erklären.
Einer der systemimmanenten Aspekte eines Minihauses sind verhältnismäßig dünne Wände. Während moderne Energieeffizienzhäuser oder gar Passivhäuser heute mit Dämmstärken von 40 und mehr Zentimetern ausgestattet werden, können solche in Minihäusern nicht zum Einsatz kommen. Dabei bleibt ein weiterer entscheidender Aspekt bei der Konstruktion eines Tiny House on Wheels noch völlig unberücksichtigt, – das maximal zulässige Gewicht von 3,5 Tonnen, um es noch als PKW-Anhänger über europäische Straßen bewegen zu dürfen.
Je dünner allerdings die Dämmung ist, desto problematischer wird es, einen tatsächlich ökologisch-nachhaltigen Energieverbrauch insbesondere für die Heizung in einem Tiny House zu gewährleisten.
Eingedenk der überproportional großen Außenfläche eines Tiny House, das ja in alle Richtungen Außenwände, Decken und Fußböden aufweist, kann auch die Verwendung von ökologischen Dämmmaterialien zu einem ungleich höheren Heizenergieverbrauch über die nächsten Jahrzehnte zur Folge haben und der sich dann ökologisch gesehen negativ auswirken kann.
Die Verwendung von ökologischen Materialien zur Dämmung eines Tiny House allein ist also noch lange kein Indiz für ein wirklich nachhaltiges Tiny House und erst recht kein Argument für einen möglichst geringen Fußabdruck, den der Mensch auf diesem Erdenrund hinterlassen möchte.

Gesetzliche Messlatte “EnEV”

Die entscheidende gesetzliche Messlatte, die alle nach heutigen Maßstäben wichtigen Punkte berücksichtigt, stellt die Energieeinsparverordnung (kurz: EnEV) dar, die auf den europäischen Richtlinien 2010/31/EU und der darauf folgenden 2012/27/EU basiert. 

Dabei spielen tatsächlich nicht nur klassische Dämmwerte eine Rolle sondern auch Lösungen zur Raumklimatisierung zur Verhinderung von Kondenswasser und Schimmel und – noch entscheidender – der Nutzung von erneuerbaren Energien. Die EnEV2016 ist für alle genehmigungspflichtigen Neubauten bindend, für die ab dem 1. Januar 2016 der Bauantrag gestellt wird und auf genehmigungsfreie Bauvorhaben, die nach dem 1. Januar 2016 starten. Sie gelten sowohl für Bauherren neuer Gebäude als auch für Altbaubesitzer.
Aussagen, nach denen ein Wärmeschutznachweis für Wohngebäude mit weniger als 50 m2 nicht notwendig sein soll, entsprechen nicht der geltenden Rechtslage. Diese Grenze von 50 m2 gilt lediglich für Ferienhäuser, sofern diese nicht länger als drei Monate im Jahr genutzt werden. 

Ungeeignete Öko-Dämmung

Dazu ein kleines anschauliches Beispiel: Während eine nur 10 cm dünne Dämmung aus Schafwolle, Hanf oder Seegras bei einem Tiny House von acht Metern Länge bereits über 300 kg Gewicht mit sich bringt, wiegt eine auf Erdöl basierende Polyurethan-Dämmung lediglich 45 kg, bietet zugleich eine deutlich bessere Dämmleistung und damit einen signifikant verringerten Heizenergieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten. Bei der Entsorgung verfügt eine PU-Dämmung auch noch über 90 % seines ursprünglichen Heizwertes, so dass auch eine fachgerechte Entsorgung möglich ist. Folglich führt die Frage der ökologisch nachhaltigen Dämmung in einem Tiny House nicht zwangsläufig zu der Verwendung von ökologischen Materialien.

Und immer wieder “Schimmel”

Zur Gesunderhaltung des Raumklimas fordert die EnEV den permanenten Austausch der feuchtigkeitsgeschwängerten Luft durch Frischluft bei gleichzeitiger Minimierung des Verlustes an Heizenergie. Einfach ausgedrückt: Ein Tiny House ohne aktiven Luft-Wärmetauscher oder Luftentfeuchtung hat keine Chance auf eine Wärmeschutznachweis gemäß EnEV2016.

Die Nutzung erneuerbarer Energien ist ein weiterer entscheidender Prüfpunkt nach EnEV. Während Öl und Gas als fossile Brennstoffe grundsätzlich ausfallen, bringen auch Holzöfen keinen Vorteil, weil sie temperaturtechnisch nicht steuerbar sind und ohne Feinstaub-Filtersysteme ohnehin keine Betriebserlaubnis mehr erhalten. Hingegen können elektronisch gesteuerte Pelletöfen bei richtigem Einsatz die Anforderungen umfassend erfüllen.

Bei der Erfüllung der EnEV-Kriterien stehen dann alle Hersteller vor nahezu unüberwindlichen Hürden, wenn das Haus immer kleiner, die Wände immer dünner, das Raumvolumen zur Wasseraufnahmefähigkeit immer geringer und die Systeme zur Nutzung erneuerbarer Energien durch Verkleinerung immer ineffektiver werden. Insbesondere Heimwerker und Handwerksbetriebe stoßen dann immer häufiger an ihre technologischen Grenzen.

Vorsicht vor Verkäufertricks

Nicht selten führt diese Entwicklung zu Stilblüten, indem Hersteller, die mit der Erfüllung der EnEV2016 überfordert sind, zu argumentativen Schlenkern greifen und ihre Häuser mit Aussagen wie „nach EnEV gebaut“ oder „EnEV-konform“ bewerben, die allerdings im Rahmen eines Bauantrages, für den ein offizieller Wärmeschutznachweis gem. EnEV 2016 durch einen staatlich anerkannten Energieberater gefordert wird, schlichtweg wertlos sind. Auch sollte ein Wärmeschutznachweis nicht mit dem sogenannten „Energiepass“ verwechselt werden, der zusätzlich für alle Wohngebäude verpflichtend ist. Noch fragwürdiger sind Falschaussagen wie „EnEV muss bei Minihäusern nicht erfüllt werden“. Ja, was denn nun? Ökologie ja, aber Einhaltung gesetzlicher Öko-Maßstäbe nein?

Nur die herstellerunabhängige und fachlich kompetente Prüfung aller Kriterien zur Dämmung, Raumklimatisierung und Nutzung von erneuerbaren Energien bringt für den Verbraucher die erwünschte Sicherheit beim Erwerb eines möglichst ökologisch-nachhaltigen Mini-Wohngebäudes.
Diese Messlatte „EnEV2016“ bietet zudem den unschätzbaren Vorteil, dass sich der Tiny House Interessent auch nicht mehr von althergebrachten Argumenten wie „diffusionsoffen oder -dicht“, „U-Werte“ oder „ökologische Dämmung“ verwirren lassen muss. Denn nicht ein einzelnes Argument sondern die Gesamtheit aller Komponenten ergeben erst einen Sinn und Nutzen.

*) In Österreich: u.a. “Wärmeschutz im Hochbau” ÖNORM 8110 sowie “Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden” ÖNORM H 5055-59.
In der Schweiz: u.a. Gebäudeenergieausweis der Kantone GEAK.

Blogartikel von Peter L. Pedersen
Rolling Tiny House GmbH
Hüttenkamp 12, D-24536 Neumünster
Ogrido Redaktion
Kategorie*: Allgemein
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Ein Gedanke zu “Tiny Houses zwischen Ökologie und Nachhaltigkeit

  • JKn
    an 3. August 2020

    …. danke für diesen Artikel – finde ich gut. Die Beschreibung vom tatsächlichen Aufwand zeigt nachvollziehbar, dass Planung und Bau nicht ganz so einfach sind, deckt sich mit meinem Gefühl, was ich dazu gern bedacht und erledigt hätte.

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